Wir alle haben im Zusammenhang mit Kleidung schon mal das Wort „vorteilhaft“ gehört. Ist es ein überholtes Ideal, das wir endlich verbannen sollten? Oder können wir es vielleicht für uns zurückerobern – und ihm eine neue, empowernde Bedeutung geben?
In dieser Folge sprechen Anne und ich mit Curvy-Shop-Betreiberin Milena über die emotionale Wirkung von Mode, über Figurtypen, Farbtöne und die Unsicherheiten, die viele Frauen mit Kleidung verbinden. Es geht um Scham, den Bruch mit vermeintlichen Normen, Selbstfindung und den Weg zu einem besseren Selbstbewusstsein.
„Vorteilhaft“ – ein Wort mit Geschichte

Das Wort „vorteilhaft“ hat viele von uns schon in der Kindheit oder Jugend begleitet – oft im Kontext von „streckt“, „macht schlank“ oder „kaschiert Problemzonen“. Für Milena, die heute einen Shop für große Größen betreibt, ist der Begriff im klassischen Sinne eigentlich überholt. Sie sagt: Es gibt keine objektiv unvorteilhafte Kleidung – entscheidend ist, dass sie zur Person passt, in der richtigen Größe sitzt und die Trägerin sich darin wohlfühlt.
Anne erinnert sich, dass ihre Mutter „vorteilhaft“ oft im Sinne von „bedeckt den Po“ benutzte. Auch Milena kennt diese „Regel“ nur zu gut: Lange Oberteile, lockere Schnitte, möglichst nichts Figurbetontes – so wuchs sie auf. Heute wünscht sie sich, dass „vorteilhaft“ neu definiert wird: Kleidung, die den Körper nicht versteckt, sondern ihn zeigt und feiert.
Kleidung als Selbstwert-Booster – oder Selbstwert-Bremse

Kleidung beeinflusst nicht nur, wie andere uns wahrnehmen, sondern vor allem, wie wir uns selbst sehen. Wer schon einmal unfreiwillig in „Notlösungs-Outfits“ unterwegs war, kennt das Gefühl, nicht ganz man selbst zu sein. Wenn Schnitte, Farben oder Materialien nicht passen, spiegelt sich das im Auftreten wider.
Milena beschreibt, wie tief verankert alte Glaubenssätze über den eigenen Körper sein können. Eine Kundin von ihr trägt bis heute ausschließlich lange Oberteile, weil sie in der Kindheit ständig hörte, ihr Po sei zu groß – obwohl das objektiv nicht der Fall ist. Solche Aussagen prägen oft ein Leben lang und beeinflussen das, was wir uns modisch zutrauen.
Sichtbarkeit und Vielfalt: Warum Mode mehr als Oberflächlichkeit ist

Lange Zeit gab es in Magazinen, Werbung und Schaufenstern fast ausschließlich schlanke Körper zu sehen. Für Menschen jenseits der Kleidergröße 42 war es schwer, sich vorzustellen, wie ein Kleidungsstück an ihnen aussehen könnte. Milena erinnert sich an ihren ersten Auslandsaufenthalt in Schottland: Dort sah sie selbstbewusste Frauen in allen Größen, die kurze Röcke oder enge Tops trugen – etwas, das sie in ihrer Heimat nie erlebt hatte.
Heute bieten Social Media und spezialisierte Marken mehr Sichtbarkeit für unterschiedliche Körperformen. Doch gerade in großen Größen ist die Auswahl nach wie vor begrenzt – besonders, wenn man Mode sucht, die nicht nur passt, sondern auch modisch ist.
Figurtypen und Styling – kleine Tricks mit großer Wirkung
Milena arbeitet in ihrem Laden und im Online-Shop mit einer klaren Philosophie: Mode soll die individuelle Silhouette unterstützen, nicht verstecken. Dabei helfen ein paar grundlegende Styling-Prinzipien:
- A-Typ (schmale Schultern, breitere Hüften): Oben für optische Balance sorgen – z. B. mit Mustern, auffälligen Ausschnitten oder Puffärmeln, unten eher schlicht.
- V-Typ (breitere Schultern, schmalere Hüften): Unten mehr Volumen oder Muster, oben reduziertere Schnitte.
- Bauchregion betonen oder ausgleichen: Ein Taillengürtel kann – richtig platziert – die Körpermitte definieren, ohne unvorteilhaft zu wirken.
- Körpergröße beachten: Große Personen können oft längere, fließende Schnitte tragen, während kürzere Längen bei kleineren Frauen für mehr Proportion sorgen.
Milena betont: Diese Regeln sind Anhaltspunkte, keine Dogmen. Am wichtigsten ist, dass die Trägerin sich wohlfühlt.
Farbenlehre: Mehr als nur „steht mir“ oder „steht mir nicht“
Farben haben eine enorme Wirkung auf Ausstrahlung und Stimmung. Ein schwarzes Outfit kann elegant wirken – oder bei schlechter Laune noch zusätzlich „beschweren“. Schon ein farbiger Schal oder eine leuchtende Jacke kann den Gesamteindruck verändern.
In der klassischen Farbberatung unterscheidet man vier Grundtypen: Frühling und Herbst (warme Farben), Sommer und Winter (kühle Farben). Viele Menschen sind Mischtypen. Entscheidend ist, Nuancen zu finden, die zum eigenen Hautunterton passen. Ein Blau kann warm oder kühl sein, ein Grün ins Gelbliche oder ins Bläuliche gehen – und damit komplett unterschiedlich wirken.
Mode ist auch Unternehmertum – Milenas Weg
Milenas beruflicher Weg verlief nicht geradlinig. Sie arbeitete lange im textilen Einkauf, bevor sie sich selbstständig machte. Anfangs bot sie Modeberatungen und Verkaufspartys im Wohnzimmer-Stil an, später – bedingt durch Corona – stieg sie auf Live-Verkäufe und schließlich auf einen eigenen Online-Shop um. Heute betreibt sie zusätzlich einen kleinen Showroom, in dem Kundinnen in sicherer Atmosphäre anprobieren können.
Ihre Anpassungsfähigkeit sieht sie als Schlüssel zum Erfolg: Wer auf äußere Veränderungen flexibel reagiert, kann sein Angebot langfristig am Markt halten.
Marken, die den Unterschied machen
Nicht alle Labels gehen auf die Bedürfnisse von Frauen mit großen Größen ein. Milena empfiehlt Marken, die eigene Plus-Size-Linien mit angepassten Schnitten entwickeln, statt einfach nur bestehende Modelle „größer“ zu skalieren. Beispiele sind Only Carmakoma oder Kaffe Curve – beide bieten Mode ab Größe 42/44 mit durchdachten Details wie längeren Ärmeln oder angepassten Schulterweiten.
Für sie ist klar: Gute Passform ist kein Luxus, sondern Grundvoraussetzung – egal, welche Konfektionsgröße auf dem Etikett steht.
Selbstwert und Stil – eine lebenslange Reise

Milena selbst beschreibt ihre Modegeschichte als eine Reise. Von der frustrierten Teenagerin, die in angesagte Jeans nicht passte, über Phasen des Versteckens in unförmiger Kleidung bis hin zu einer heutigen Garderobe, in der Kleider einen festen Platz haben. Ihr Rat: ausprobieren, Neues wagen, und sich nicht von alten Glaubenssätzen leiten lassen.
Mode ist kein oberflächliches Thema – sie kann Selbstwert stärken, Sichtbarkeit schaffen und ein Ausdruck von Persönlichkeit sein. „Das wichtigste Outfit“, sagt Milena, „ist das, in dem du dich selbstbewusst fühlst – egal, was andere denken.“