Künstlerinnen, die von ihrer Kreativität leben, begegnen uns im Internet ständig. Aber wie sieht ihr Alltag jenseits von Instagram-Posts, niedlichen Designs und bunten Messeständen wirklich aus? Genau darüber haben wir uns mit Nad (Myuna) und Mia (Miamouz) gesprochen. Anne kennt die beiden schon seit Jahren, für mich war es das erste Mal, ihre Geschichten und ihren Alltag so ausführlich zu hören.
In unserem Gespräch ging es um Umwege in die Selbstständigkeit, Arbeitsrealitäten abseits aller Romantisierung, große und kleine Erfolgsmomente – und auch darüber, was passiert, wenn plötzlich ein ganzer Koffer voller Merch im Wert von 10.000 Euro verschwindet.
Miamouz: Vom Content-Creator zur Kawaii-Künstlerin

Mia arbeitet seit vier Jahren hauptberuflich als Künstlerin. Zuvor war sie lange als Content Creatorin unterwegs – hauptsächlich auf Twitch und YouTube. Kunst lief erst nebenher, bis sie irgendwann merkte, dass die Nachfrage nach ihren Designs wuchs.
Entscheidend war ein Schubs von Nad, die sie auf ihre erste Convention mitnahm. Heute lebt Mia fast ausschließlich von ihrer Kunst. Sie entwirft Sticker, Socken, Mützen, Prints, Pins und Papeterie, die sie unter anderem über ihren Online Shop vertreibt. Vieles produziert Mia selbst im Atelier, anderes lässt sie in kleinen Manufakturen herstellen.
Myuna: Von der Grafikerin zur Vollzeit-Künstlerin

Myuna hat Kommunikationsdesign studiert und viele Jahre als Grafikerin gearbeitet, zuletzt bei Fritz Kola. Erst nebenbei begann sie, auf Anime- und Gaming-Conventions auszustellen. Was als Hobby begann, wuchs schnell.
36 Conventions („Cons“) in einem Jahr – fast jedes Wochenende. Während Corona war es erstmal vorbei mit Cons – ein Rückschlag für viele Künstler*innen wie Nad – doch danach kam die Nachfrage mit voller Wucht zurück. Seit 2023 ist Nadine komplett selbstständig.
Ihr Schwerpunkt: Pins. Kleine, hochwertige Emaille-Pins, die Menschen an Taschen, Klamotten oder – wie wir gelernt haben – in sogenannte Ita-Bags stecken. Dazu kommen Washi-Tapes, Socken, Plüschtiere, Banner und vieles, was sie spontan begeistert. Über 500 Produkte hat sie mittlerweile im Online Sortiment.
Katalog, Koffer, Cons – der Alltag hinter der bunten Kunstwelt
Lesson #1: Einen „typischen“ Alltag gibt es nicht.
Unter Woche heißt das unter anderem:
- Bestellungen packen
- E-Mails beantworten
- neue Designs entwickeln
- administrativen Kram erledigen
- Produktionen planen
- Ware konfektionieren
- Messe-Vorbereitungen starten
Sobald ein Event ansteht, beginnt der Logistik-Marathon: Koffer packen, 30-Kilo-Boxen schleppen, stundenlange Autofahrten, Aufbauzeiten von ein bis vier Stunden und Messetage, die körperlich und mental alles abverlangen.
Ich war selbst schon auf Messeveranstaltungen – allerdings im ganz anderen Bereich – und der Austausch mit den beiden hat viele Flashbacks ausgelöst. Es ist eine Tätigkeit, die viel Sichtbarkeit mit sich bringt und auch extrem schöne Interaktionen beinhaltet, aber die körperliche Arbeit, den Stress, Lärm, und das Risiko musst man auch erstmal wegstecken können.

Momente, die tragen – Froschselfies und Tattoo-Ehren
Zwischen all der Arbeit gibt es die Momente, die alles wert machen.
Miamouz erzählt von einem Kunden, der ihr ein Tütchen voller Fotos brachte, auf denen ihr selbstdesigntes Frosch-Portemonnaie an Sehenswürdigkeiten in Japan posierte – wie ein kleiner Reisebegleiter.
Myuna erinnert sich an eine Besucherin, die sich direkt auf der Convention eines ihrer Pin-Designs als Tattoo stechen ließ. Für die Künstlerin eines der größten Komplimente, das man ihr machen kann.

Community statt Algorithmus – warum der persönliche Kontakt so wichtig ist
Conventions sind als Begegnungsort sind. Nirgendwo bekommen die Künstlerinnen so direktes Feedback wie dort:
- Menschen, die lächeln, wenn sie ein Design entdecken
- kurze Gespräche
- Stammkund*innen, die jedes Jahr vorbeikommen
- ehrliches Feedback zu neuen Ideen
Selbst wenn jemand nichts kauft, aber sich über ein Motiv freut – genau diese Mini-Momente sind es, die die beiden antreiben.

Die andere Seite der Selbstständigkeit – Verantwortung, Risiko und Rückschläge
Natürlich ist auch das Künstlerinnenleben nicht immer nur bunt und wildromantisch. Steuerkram, Verpackungslizenzen für verschiedene Länder, IHK-Gebühren, Produktionskosten, Pre-Orders, Qualitätskontrollen – all das frisst enorm Zeit und Energie. Und Nerven sowie. Hilft aber nun mal nichts.
Alles aber kein Problem im Vergleich zum Koffer-Diebstahl in Berlin, von dem Myuna uns berichtet: Einbruch ins Auto auf dem Parkplatz, Ware im Wert von 10.000 Euro weg – darunter ihre Bestseller und der komplette Restock für die Messe, die am nächsten Tag beginnen sollte.
Neben dem finanziellen Verlust bleibt vor allem das Gefühl, dass jemand durch die eigenen Sachen gegangen ist. Die Community hat unterstützt, aber der Schock hat lange nachgewirkt.
Tipps für angehende Künstler*innen
Du bist Künstler*in und überlegst, den Schritt in die Selbstständigkeit zu tun? Hier ein paar Profitipps von Myuna und Miamouz:
- Unterschätze den Business-Teil nicht: Steuern, Lizenzen, Finanzierung, Kalkulationen – das gehört alles dazu, und zwar täglich.
- Diversifiziere: Nur Online-Shop? Nur Cons? Nur Auftragsarbeiten? Zu riskant. Mehrere Standbeine geben Stabilität – gerade wenn eine Einnahmequelle plötzlich wegfällt.
- Plane nicht zu naiv: Viele unterschätzen Produktionskosten, Mindestmengen oder administrative Pflichten.
- Community ist Gold: Auf Cons, über Patreon, über Social Media: Die Verbindung zu den Menschen trägt das Business mit.
- Trau dich, anzufangen – aber informiere dich vorher gut.
Hier kannst du dir komplette Folge anschauen bzw anhören:
Die komplette Folge „Wenn Kunst zum Beruf wird: Ein Blick hinter die Kulissen von Myuna & Miamouz“ auf Spotify und YouTube.