Freundschaften im Erwachsenenleben – warum werden sie mit der Zeit komplizierter, aber auch wertvoller? Wir sprechen ehrlich darüber, wie sich ihre Vorstellungen von Freundschaft verändert haben, warum Nähe und Verlässlichkeit heute anders aussehen als früher – und wieso es okay ist, wenn sich Beziehungen verändern oder auseinanderlaufen. Von alten Schulfreundinnen über neue Bekanntschaften bis hin zu Online-Connections: Die neue Folge von Purpose. Power. Perspektiven. ist ein ehrlicher, humorvoller Deep Talk über Loyalität, Grenzen, Enttäuschungen und das schöne Gefühl, wenn Freundschaft sich einfach leicht anfühlt.
Freundschaften als Chosen Family

Freundschaften sind für Anne und mich kein „nice to have“. Für mich sind sie das emotionale Fundament meines Lebens – meine Chosen Family. Menschen, die mich sehen, verstehen und begleiten, auch wenn das Leben sich verändert. Gerade als Single merke ich, wie sehr meine Freundinnen und Freunde für mich die Rolle von Familie einnehmen. An Geburtstagen, an Feiertagen, in kleinen und großen Momenten. Diese Beziehungen sind für mich nicht das, was nach Job, Kind und Beziehung übrig bleibt, sondern das, was ich bewusst priorisiere.
Wir haben beide nie verstanden, warum Freundschaften oft nur noch die „Restzeit-Slots“ bekommen – nach dem Motto: Ich melde mich, wenn mein Kalender nach Partner und Verpflichtungen noch eine Lücke hat. Beziehungen verändern sich, Freundschaften bleiben. Und sie verdienen einen Premium Platz in unserem Leben.
Authentizität ist der neue Maßstab

Mit dem Älterwerden und einem wachsenden Erfahrungsschatz verändert sich auch die Wahrnehmung von Freundschaft. Mir ist es viel wichtiger geworden, genau hinzusehen: Sind es wirklich Freundschaften, in denen ich mich mit allem zeigen kann, auch mit Dingen, die ich nicht unbedingt von den Dächern schreien würde? Fassade – nein danke.
Früher war ich da nachsichtiger. Ich habe viel länger festgehalten – aus Gewohnheit, Nostalgie oder Loyalität. Heute bin ich schneller darin zu sagen: Das tut mir nicht gut. Wenn ich das Gefühl habe, dass eine Freundschaft Energie zieht statt gibt, ziehe ich Grenzen. Zumindest öfter als vorher. Anne ist an der Front geduldiger und nachsichtiger als ich – wo die Grenze liegt, entscheidet ja immer noch jede selbst.
Vom romantisierten Ideal zur realistischen Verbindung
Anne bringt es auf den Punkt: Gerade als Teenagerin und junge Erwachsene hatte sie oft noch ein romantisiertes Bild von Freundschaft, wie man es aus Hollywood-Darstellungen kennt. Dort gibt es meist einen Hauptcharakter und eine beste Freundin oder einen besten Freund als Nebencharakter, der uneingeschränkt verfügbar ist und immer zur Seite steht.

Doch wie ist sie denn jetzt? Die ideale beste Freundin, die ohne mit der Wimper zu zucken alles stehen und liegen lässt, ihren Superheldinnen-Umhang überwirft und zu unserer Rettung eilt? Egal, was bei ihr selbst gerade so ansteht? Erwachsene Freundschaften sehen anders aus. Wir haben Verpflichtungen, Familien, Jobs (nervt, aber isso). Menschen sind nicht immer verfügbar. Und das ist okay. Wir müssen lernen, dass Freundschaft kein Dauerzustand von Nähe ist, sondern ein lebendiger Prozess. Jeder hat seine eigenen Baustellen, Stimmungsschwankungen und Probleme. Auch wenn’s manchmal unfair scheint: Ich denke, wir müssen aufhören zu erwarten, dass die investierte Energie und Liebe immer und konstant im gleichen Maße zurückkommt, da dies auch nicht jeder leisten kann.
Freundschaft verändert sich, sie pausiert manchmal, sie verlangt Rücksicht – und sie wächst an Konflikten.
Freundschaft ist Arbeit – aber die gute Art

Freundschaften sind Beziehungsarbeit. Denn – genau wie bei romantischen Partnerschaften – handelt es sich um eine wichtige zwischenmenschliche Beziehung. Da gehören auch Konflikte dazu, und sie können sogar etwas Gutes bewirken. Wenn zwei Menschen bereit sind, über Missverständnisse zu sprechen, wenn sie nicht sofort das Schlimmste annehmen oder in Groll verfallen, sondern sagen: „Hey, das hat mich verletzt, können wir drüber reden?“, dann vertieft das die Verbindung.
Anne hat es so schön formuliert: Sie wünscht sich, dass Freundinnen nicht vom Schlimmsten ausgehen. Dass sie wissen – manchmal hat man einfach einen schlechten Tag, sagt etwas Ungeschicktes, meint es aber nicht böse. Diese Großzügigkeit im Denken und Fühlen ist ein echter Freundschaftsanker.
Ankommen durch Gemeinschaft

Die Suche nach Freundschaften gestaltet sich in unterschiedlichen Lebensphasen und Orten sehr verschieden, richtig? Als ich nach Sydney gezogen bin, habe ich den Druck, neue Leute kennenzulernen, viel stärker empfunden – die Sehnsucht, „anzukommen“. So sehr, dass ich eine Zeit lang versucht habe, eine Rolle zu spielen, um besser rein zu passen. Ich fühle mich nämlich erst dann wirklich daheim, wenn ich mich als Teil einer Gemeinschaft, eines Netzwerks fühle. Denn für mich ist Zugehörigkeit ein ganz zentrales Element.
Die Sache ist nur die: Wenn ich mich verstellen muss, um irgendwo reinzupassen, ist mit Zugehörigkeitsgefühl nicht viel los. „Fitting in is the biggest threat to belonging“, wie mein Spiritual Guide Brené Brown so schön sagt. Erst als es mir zu blöd wurde und ich das mit der Fassade wieder hab sein lassen, wurde es besser. Denn dann konnten die Leute, die wirklich zu mir passen, mich auch finden. „Don’t chase – attract!“ wie Anne meine Sydney Friendship Files so treffend zusammenfasst.
Gut Ding will Weile haben – in Freundschaften und darüber hinaus
Ich habe mich oft gefragt, warum mir das in Freundschaften so leicht fällt: Nähe wachsen zu lassen, Dinge entstehen zu lassen, ohne sie zu forcieren. Und warum mir das in romantischen Beziehungen schwerer fällt. Beides sind doch zwischenmenschliche Beziehungen – nur mit unterschiedlichen Erwartungen, wie es scheint. Oder geht das nur Anne und mir so?
Ich habe jedenfalls einen neuen Vorsatz: „Gut Ding will Weile haben“-Vibes auf mehr Bereiche meines Lebens zu übertragen. Geduld, Gelassenheit, Vertrauen in den Prozess. Nicht alles muss sofort intensiv sein, nicht alles muss schnell entstehen. Beziehungen jeglicher Art brauchen Raum, um sich zu entfalten. Ich sag dann Bescheid, wie’s läuft.
Das Nudel-Prinzip

Letztendlich kann man neue Freunde mit Pasta vergleichen. Du nimmst eine Handvoll Spaghetti aus dem Topf, wirfst sie an den Kühlschrank und schaust, welche kleben bleiben. Die, die kleben bleiben, sind die, die sich festhalten und an denen man arbeiten kann. Und wenn mal keine klebrige Nudel dabei ist? Dann musst du halt nochmal neu schmeißen – neuer Topf, neue Spaghetti, nochmal neu an den Kühlschrank klatschen.
Hier kannst du dir komplette Folge anschauen bzw anhören:
Die komplette Folge „Wenn Freundschaften erwachsen werden und Nähe Zeit braucht“ auf Spotify und YouTube.
