Das erste Mal nackig in der Sauna, sexuelle Vorlieben, über die du nicht sprechen magst, unerwartet in der Probezeit entlassen werden – Scham-Gremlins lauern überall. Auf jeden von uns – egal, in welcher Kultur wir angehören. Scham ist ein universelles Gefühl.
Doch wie wir von Forschungsprofessorin und Scham-Expertin Brené Brown gelernt haben: Scham fühlt sich mit uns im stillen, dunklen Kämmerlein, in das wir niemanden hineinschauen lassen, am allerwohlsten, und schwelt dort gerne fröhlich vor sich hin. Was Scham im Gegensatz überhaupt nicht ab kann? Licht drauf leuchten. Drüber sprechen. ErzählerIn unserer eigenen Scham-Geschichten werden, statt der Scham diese Rolle zu überlassen. Kann man nun natürlich auf unterschiedliche Art und Weise angehen. Anne und ich packen den Stier bei den Hörnern und spielen Scham-Bingo. Spiel mit! Die komplette Scham-Bingo Folge findest du auf Spotify und YouTube.

Kurz vorab: Die Scham-Kategorien, die wir uns ausgesucht haben, entsprechen keiner festen wissenschaftlichen Einordnung. Die Grenzen sind fließend, aber das sind die Kategorien, die wir häufig gefunden haben und die uns am logischsten erschienen.
1. Scham durch Misserfolg
Diese Scham entsteht, wenn wir uns aufgrund eigener Fehler oder des Nichterreichens von Zielen unzulänglich fühlen.
Vor allem im Job verfolgt uns Scham durch Misserfolg oder Versagen. Ich spreche hier nochmals über die Schließung meines Unternehmens, und wie mich das direkt in eine Identitätskrise gestürzt hat. Anne erinnert sich in diesem Zusammenhang an eine Firma mit sehr fehlerintolerantem Führungsstil. Ich zitiere an dieser Stelle einen ehemaligen Chef von mir (den wir SEHR mögen): „Wo gehobelt wird, fallen Späne.“ So schaut’s nämlich aus.
Vielleicht auch spannend zu wissen: In ihrer Forschung hat Brené Brown festgestellt, dass im Arbeitsumfeld der häufigste Scham-Trigger Relevanz ist, also das Gefühl: Ich bin nicht relevant genug. [1] Wer fühlt’s außer mir?
2. Körperliche Scham
Hierbei handelt es sich um Schamgefühle, die im Zusammenhang mit dem eigenen Körper, dem Aussehen oder körperlichen Funktionen auftreten.

Als Anne sich zum ersten Mal nackt in der gemischten Sauna wiederfand, war das für sie einfach nur cringe. Nicht so cringe wie für ihre 12-jährige Nichte bei der Nacherzählung (Nichte: „Da waren auch Männer in der Sauna???“ – Anne: „Ja.“ – Nichte: „NACKT???“ – Anne: „Ja!“ Nichte: *würg*), aber trotzdem. Ich nehme direkt die Einladung zur Challenge an, Anne bei ihrem nächsten Bayernbesuch mit in meine Lieblings-Seesauna zu nehmen. Ob’s sogar zum Aufguss reicht, wird sich zeigen.
Für mich fällt in diese Scham-Kategorie ganz klar die Thematisierung meiner Figur einer neuen Person gegenüber, bevor (oder kurz nachdem? Kann mich nicht genau erinnern.) sie mich das erste mal nackt sieht. Für mich ist es tatsächlich Neuland, nach der Trennung vom Kindsvater mit körperlicher Scham in den Ring zu steigen. Hatte ich nie ein Problem mit, obwohl ich nie wirklich dünn war. Doch nach Gewichtszunahme in den letzten Jahren war das Thema plötzlich präsent für mich. Ansprechen hat geholfen.
„Jung’sche Analysen nennen Scham den Sumpf der Seele. Und wir gehen hinein. Nicht um ein Haus zu bauen und dort zu leben. Ziel ist es, uns Stiefel anzuziehen, und darin herumzuwaten, und uns darin auszukennen.“ [2]
3. Kulturelle oder soziale Scham
Diese Kategorie umfasst Scham, die aus dem Bruch mit gesellschaftlichen Normen, Traditionen oder Gruppenerwartungen resultiert.
Ich lebe aktuell in einem Umfeld, in dem traditionelle, nukleare Familienkonstellationen am häufigsten zu finden sind. Da steche ich als Single Mutter raus. Und obwohl ich mich an diese Rolle gewöhnt habe und meistens ziemlich entspannt damit umgehe, schleicht sich doch hin und wieder der Scham Faktor ein, da ich von der Norm abweiche.
Anne schämt sich andererseits dafür, Unternehmerin zu sein, statt wie von ihrem Umfeld sehnlichst erhofft im gewohnten Angestelltenverhältnis zu verweilen. Außerdem findet sie es – emanzipiert und feministisch wie sie eben ist – unangenehm, nicht mehr zu verdienen als ihr Partner. Aufruf an unsere Leserinnen und Leser: Kauft Annes Strumpfhosen auf dualdefiance.de, damit sich das bald ändert!
4. Schuldbedingte Scham
Diese Scham entsteht, wenn wir uns für tatsächliches oder vermeintliches Fehlverhalten verantwortlich fühlen und uns dafür schämen.
Kurz erklärt: Schuld bedeutet, ich mache einen Fehler. Scham ist, ich bin der Fehler. Schuld bezieht sich auf mein Verhalten, Scham auf meine Person [2]. Ich empfinde schuldbedingte Scham meinem Sohn gegenüber, weil er Einzelkind geblieben ist. Anne, aufgewachsen in einem evangelikal-christlichen Umfeld, fühlt sich schuldig dafür, dass sie versucht hat, zu Teenagerzeiten Leute in ihrem Umfeld zu bekehren.
5. Sexuelle Scham
Sie bezieht sich auf Schamgefühle im Kontext von Sexualität, dem eigenen Körper in sexueller Hinsicht oder sexuellen Handlungen.

Während ich an dieser Scham-Front (zumindest bis jetzt) relativ ungeschoren davongekommen ist, ist Anne in einem sehr strengen und konservativen, evangelikal-kirchlichen Umfeld aufgewachsen. Sexuelle Scham ausdrücklich erwünscht! Mit ihren eigenen sexuellen Bedürfnissen hat Anne sich darum auseinander gesetzt, als sie damit begann, sich von ihrer Indoktrinierung zu befreien. Wie Anne ihre(n) Scham(hügel) überwunden hat, erfahrt ihr im Podcast 😉.
Damit hat Anne vielen Menschen aber schon mal eine Sache voraus. Laut der belgischen Psychologin und Sexual- bzw Paartherapeutin Esther Perel haben sehr viele Menschen in langfristigen Partnerschaften ein großes Problem damit, ihre sexuellen Bedürfnisse mit dem Partner oder Partnerin auszuleben – oft ist nicht mal der Gedanke daran, was man sich selbst im Bett wünscht, erlaubt – von aussprechen ganz zu schweigen! In vielen Köpfen haben sexuelle Bedürfnisse, Erotik und Begehren in einer Partnerschaft irgendwann der Sicherheit und der Geborgenheit zu weichen. Klarer Lese- bzw. Hörtipp: Esthers Buch „Mating in Captivity“.
6. Angst vor Scham
Diese Kategorie beschreibt die Furcht, sich in der Zukunft peinlich zu verhalten oder bloßgestellt zu werden, was zu Vermeidungsverhalten führen kann.

Ich habe Angst davor, beim auf’m Berg gehen meinen Begleitpersonen vom Fitness-Level her unterlegen zu sein. Was ich meistens bin, denn ich gehe nicht oft in die Berge (obwohl ich sie direkt vor der Tür habe) und wenn dann ärgerlicherweise IMMER mit Leuten, die darin viel geübter sind als ich. Macht keinen Spaß. Vor allem wenn man als „schwächstes Glied“ der Gruppe bezeichnet wird. ABER: Mein Ziel ist es diesen Sommer, den Glaubenssatz „Ich geh nicht gerne auf den Berg, ist immer scheiße!“ in die Tonne zu treten und an meinen Berg-geh-Skills zu arbeiten. Stay tuned.
7. Situative Scham
Diese Form der Scham tritt in spezifischen Momenten oder Kontexten auf, beispielsweise durch ein ungeschicktes Verhalten in der Öffentlichkeit.
Anne versucht auf sehr amüsante Art und Weise zu beweisen, dass das abgegebene Handy ihres ist, während ich einen Ausflug in den Geschichtsunterricht in der 8. Klasse unternehme. Meine Lehrerin verfluche ich dafür bis zum heutigen Tage.
8. Fremdschämen
Dies beschreibt das Gefühl der Scham, das wir empfinden, wenn wir Zeugen des peinlichen Verhaltens anderer werden.
Anne erinnert sich Schrecken an den Besuch eines schönen Restaurants in Griechenland mit ihrem Mann. Alles ist wundervoll und romantisch, bis der deutsche Herr am Nachbartisch versucht, Weißweinschorle zu bestellen. Was macht man, wenn der Kellner nicht versteht, was „Weißweinschorle“ heißt? Genau! Man wiederholt es IMMER LAUTER und I-M-M-E-R L-A-N-G-S-A-M-E-R – zumindest wenn man möchte, dass Anne und ihr Mann vor lauter Fremdscham und Furcht, als Deutsche enttarnt zu werden, langsam unter ihren Tisch sinken.
Bei „Fremdscham“ denke ich direkt an ein Dating-Ick, das mich während eines Grill-Abends bei Freunden mit meinem Ex-Partner überfallen hat. Als wir alleine am Tisch saßen, tauschte er schnell sein nicht ganz so scharfes Messer mit einem anderem, schärferen Messer am Tisch aus und strahlte mich danach begeistert an. Mag nicht für jeden Grund zum fremdschämen sein – ich hätte für dieses Verhalten im Erdboden versinken können.
9. Verinnerlichte Scham
Hierbei handelt es sich um ein tief verwurzeltes Gefühl der Wertlosigkeit oder Unzulänglichkeit, das oft aus frühen Erfahrungen resultiert.
Anne ist faul. Sandra ist nicht gut genug. Schade.

Scham und Verletzlichkeit
Du möchtest tiefer in das Thema Scham einsteigen und verstehen, welche Rolle Verletzlichkeit im Kampf gegen die Gremlins spielt? Dann können wir dir diesen TED Talk nur ans Herz legen.
Hier kannst du dir komplette Folge anschauen bzw anhören:
#2 Schäm dich (nicht)! Wir spielen Scham-Bingo! auf Spotify
#2 Schäm dich (nicht)! Wir spielen Scham-Bingo! auf YouTube

Quellen
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- [1] Brené Brown (2012), The Power of Vulnerability. Teachings of Authenticity, Connection, and Courage.
- [2] TED (2012), Listening to Shame / Auf die Scham hören | Brené Brown | TED
- [3] Esther Perel (2017), Mating in Captivity. Unlocking Erotic Intelligence.